gajUli Geschrieben 15. Mai 2004 Teilen Geschrieben 15. Mai 2004 Rechtskundliche Analyse zum Thema Beleidigung auf Foren Bitte nicht wundern, wenn dieser Text etwas kompliziert oder seltsam anmutet und ungewohnte Woerter auftauchen. Die Inhalte sind auf der Basis gueltigen Rechtes zusammengetragen und erfordern Abstraktion und Denken in juristischen Begriffswelten. Schon haeufig ist an dieser Stelle ueber das Thema Beleidigung geschrieben worden; die Anlaesse sind einigen sicher noch in schmerzhafter Erinnerung. Es faellt auf, dass beinahe in jedem Fall von falschen Annahmen ausgegangen wird. Beispielsweise erhoben Teilnehmer den Vorwurf der Beleidigung, wenn sie sich durch einen fuer sie unangenehmen Diskussionsverlauf frustriert oder verletzt waehnten, etwa weil ihnen die Falschheit einer These nachgewiesen worden ist oder sie mit ihrer Meinung nicht reuessieren konnten. Selbstverstaendlich ist ein Gefuehl der Verletztheit noch kein Beweis fuer den Tatbestand der Beleidigung. 0) Beleidigung ist auf fi.de unerwuenscht und vor dem Gesetz strafbar (Par. 185 StGB). Sie unterscheidet sich von der ueblen Nachrede und der Verleumdung (Par. 186, 187). In Ermangelung einer konsentierenden Allgemeindefinition muss man sich an das halten, was juristisch zur Anwendung kommt. Beleidigung ist ein sogenannter unbestimmter Rechtsbegriff. In Strafrechtsvorlesungen wird etwa folgendermassen definiert: Beleidigung ist ein Angriff auf die Ehre eines Menschen oder eines sonst beleidigungsfaehigen Opfers. In dem Zusammenhang ist die Beleidigungsfaehigkeit zu klaeren. Beleidigt werden koennen nicht nur natuerliche Personen, sondern nach Par. 194 auch Behoerden Stellen, die mit oeffentliche Aufgaben betraut sind 1) Traeger von Aemtern 2) Soldaten der Bundeswehr 3) Gesetzgebungsorgane Kirchenbehoerden Beleidigung setzt Kundgabe voraus. Dabei ist unerheblich, ob der Beleidigte die Kundgabe verstanden hat; er muss sich also nicht einmal beleidigt fuehlen, sondern bereits eine Beschaedigung seines Ansehens vor anderen reicht aus. Die Kundgabe fremder Missachtung ist ebenfalls von Strafe nicht ausgenommen. Wahre Behauptungen entfalten eine Beleidigungswirkung nur dann, wenn die Beleidigung aus der Form oder der Art der Kundgabe resultiert. Abzugrenzen von der Beleidigung der Kollektivehre ist die Beleidigung von Einzelpersonen unter einer Kollektivbezeichnung. Hier handelt sich es sich sehr wohl um die Beleidigung der Individualehre jeder einzelnen Person. Dies ist der Fall, wenn sich die Beleidigung an alle Mitglieder richtet und die Kollektivbezeichnung den Kreis der Personen so deutlich kennzeichnet, dass die Einzelperson deutlich aus der Allgemeinheit hervortritt. wenn zwar eine Kollektivbezeichnung gewaehlt wird, aber erkennbar nur ein Mitglied gemeint ist. wenn ein nicht Benannter als Mitglied eines Kollektivs so beleidigt wird, dass sich die Beleidigung an alle Mitglieder richtet. In diesem Fall liegt eine Verletzung jeder einzelnen Individualehre vor. 4) Weitere Arten waeren Beleidigungen durch Taetlichkeiten oder von sexueller Art, was an dieser Stelle aber nur der Vollstaendigkeit wegen erwaehnt sei. Beispiel Im folgenden die Analyse eines Fallbeispiels, das stellvertretend fuer hunderte andere auf diesem Forum steht. Der Vorwurf der Beleidigung wurde erhoben, nachdem in Zusammenhang mit unsicheren Betriebssystemen folgender Satz geschrieben wurde: "Was ich ausserdem ueberhaupt nicht tolerieren kann, ist die vielfach verbreitete, haeufig kritiklos akzeptierte und unter Umgehung der selbst dem Duemmsten angeborenen Intelligenz nachgeplapperte Grundannahme, man koenne schon prinzipiell keine in irgendeiner Hinsicht perfekte Software produzieren." Und spaeter praezisierend, weil es zu Missverstaendnissen des Wortes "perfekte Software" gekommen war: "Doch, solche Software gibt es. Programme, die ihren Dienst verrichten ohne weiter veraendert werden zu muessen, d. h. abgeschlossen (=perfekt) sind und jahrelang vor sich hinlaufen, ohne abzustuerzen. In der Automatisierungstechnik ist das ganz normal." Der Satz richtete sich an keine spezielle Person, Personengruppe oder Institution, und es gab im Threadverlauf bis zu diesem Punkt niemanden, der die Moeglichkeit der Herstellung perfekter Software grundsaetzlich bestritten hatte. 5) Mithin kann es sich bei dem Satz nicht um eine Beleidigung handeln. Es wird weder ein einzelner, noch eine Gruppe angesprochen, sondern eine Meinung und ein Verhalten im Allgemeinen beschrieben. Auch inhaltlich enthaelt der Satz keine Beleidigung, auch nicht in der Wendung "Umgehung der selbst dem Duemmsten angeborenen Intelligenz nachgeplapperten", die nur besagt, dass das Problem keine Frage von Dummheit oder Klugheit sei, sondern zu wenig darueber nachgedacht werde, was eine Verhaltenskritik darstellt, aber keinen Angriff auf die Ehre. Bliebe noch die Frage zu eroertern, ob aus der Form der Kundgabe eine Beleidigung resultieren kann, denn die Wortwahl "Dummsten, nachgeplappert" erweckt einen Anfangsverdacht in diese Richtung. Aber dieser Ansatz stoesst wiederum angesichts der fehlenden Zuordnung zu einer Person ins Leere. Demgegenueber einige Userreaktionen: User: "ich weiß nicht, ob du deine herablassende und gemeine Art für deinen Job brauchst." Hier liegt tatsaechlich Beleidigung vor. Persoenliche Ansprache ("du") und oeffentliche Kundgabe, Angriff auf die berufliche Ehre mit unbegruendeten Schmaehungen ("herablassend", "gemein"). User: "Offensichtlich sind hier viele dümmlich. Nur du bist natürlich von göttlicher Unfehlbarkeit." Hier das Gleiche ("Du", "duemmlich", ironische Veraechtlichmachung). Auf einen Hinweis, dass zuvor vom Thema abgelenkt worden war, folgten User: "Schade, dass du bestimmst, was das Thema hier ist." und User: "Es reicht, wenn du Forenmitglieder beleidigst." Hier liegt sogar Verleumdung vor, also die Behauptung einer unwahren Tatsache zum Zwecke der Herabwuerdigung. (Par. 187 StGB) Anders dagegen: "Diese verbal völlig überspannte Aussage mit einigen unberechtigten Verurteilungen ist einfach nur frech. [...] Aber darauf einzugehen ist ja nun leider sinnlos, andere Meinungen hierzu werden ja nicht toleriert." Die Passage ist einerseits plump, in anderen Teilen aber aeusserst raffiniert, weil der Angegriffene nicht direkt angesprochen wird und keine Aussagen ueber persoenliche Eigenschaften gemacht werden. Dennoch erfuellt sie den Tatbestand der Beleidigung. Die persoenliche Zuordnung ergibt sich durch Bezug auf zitierten Text. Es wird ein vager Vorwurf erhoben ("unberechtigte Verurteilung") und abwertend beurteilt ("frech", "ueberspannt"). Die bemaengelte Intoleranz stellt eine unzulaessige Ausdehnung des Zitierten und Verlagerung ins Allgemeine dar. Vordergruendig wird also Beleganschein erweckt, in Wahrheit aber eine falsche Anklage erhoben. Alles in allem also ein relativ inhaltsarmer, auf Ehrverletzung abzielender Angriff, d. h. definitionsgemaess Beleidigung. Hinsichtlich der Behauptung, andere Meinungen wuerden nicht toleriert, liegt ausserdem Verleumdung vor. Zusammenfassung Die Art, wie strafrechtlich relevante Vorwuerfe erhoben werden, ist inakzeptabel. Viele User informieren sich nicht ausreichend ueber moegliche Rechtsfolgen und rechtliche Brisanz ihrer Beitraege oder handeln im Irrtum, sich in einem rechtsfreien Raum zu bewegen. Dieses Unwissen fuehrt zu unbegruendeten Anklagen und massiven Beleidigungs- und Verleumdungsdelikten ihrerseits. Oftmals ist dies keine Folge fehlender Aufklaerung, sondern psychischer Ueberforderung im Umgang mit Niederlagen. Dies zeigt sich darin, dass auch reifere Personengruppen nicht selten in eine Falle der Befangenheit tappen. Von Frustrationsgefuehlen verleitet blasen sie zu wuetenden Angriffen, die zwangslaeufig nicht mehr inhaltlich, sondern persoenlich abzielen. So koennen viele froh sein, dass Beleidigung nur auf Antrag verfolgt wird und die Opfer ein Auge zudruecken. Sie sollten sich aber vergegenwaertigen, dass sie nur aus diesem Grund ungeschoren bleiben, aber nicht auf Grund untadeligen Verhaltens. ----------------------------- Fussnoten 0) Beleidigtsein ist durchaus nicht mit Beleidigung gleichzusetzen. Insbesondere dann, wenn jemand sich selbst zum Empfaenger einer allgemeinen Aussage umdeklariert ("sich das Paar Schuhe anzieht"), ist er der Verursacher der Herabsetzung seines oeffentlichen Ansehens. Hierin liegt das Hauptfehlverstaendnis bei der Bewertung einer wirkungsvollen Taktik der fortgeschrittenen Eristik, naemlich einen Gegner dazu zu bringen, sich selbst zum Gegenstand einer als schmachvoll gebranntmarkten, aber a priori allgemeinen Sache zu machen. 1) In dem Zusammenhang waere vielleicht die Frage interessant, inwieweit IHK, ZPA oder Pruefungsausschuesse beleidigungsfaehig sind. 2) Wenn zum Beispiel ein Buergermeister beleidigt wird, dann kann dies sowohl auf seine Personenehre abzielen, genau so gut aber auch auf die Ehre seines Amtes. Beides ist strafbar, und das eine bedingt nicht zwangslaeufig das andere. 3) In dem Zusammenhang interessant war der Rechtsstreit um das Zitat "Soldaten sind Moerder". 4) Beispiel: "Ein bestechliches Mitglied des Aufsichtsrates..." 5) Dem aufmerksamen Betrachter wird vielleicht nicht entgangen sein, dass der Thread Aussagen enthaelt wie z. B. diese: "Meine Aussage war schlicht, dass komplexe Software wie Windows nie 100%ig fehlerfrei sein wird. Warum? Wirtschaftliche Aspekte." Um Aussagen dieser Art ging es aber nicht, da sie einschraenkende Sonderfaelle benennen. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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